Zur digitalen Souveränität mit Open Source

Digitale Kolonie und Lock-in verhindern.

Die digitale Abhängigkeit Deutschlands und Europas hat ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Die potenziellen Auswirkungen auf Unternehmen, Organisationen und staatliche Institutionen sind katastrophal. Hinzu kommen konkrete Gefahren für unsere politische Informationsfreiheit und Selbstbestimmung. Auf den Punkt gebracht: Ohne Digitale Souveränität keine Zukunft unserer Gesellschaft! Noch zu viele Verantwortliche haben den Ernst der Lage nicht vollständig erkannt, aber es werden täglich mehr und die Handlungsbereitschaft wächst rasant. Es ist Zeit zum Handeln.

In diesem Diskussionsbeitrag wird die aktuelle Situation wissenschaftlich analysiert. Die Konsequenzen dauerhaft wirkender Lock-ins werden aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten, insbesondere durch Open Source Software, werden diskutiert.

Sind wir auf dem Weg in eine digitale Kolonie?

Die Themen Cloud- und Vendor-Lock-in, digitale und geopolitische Abhängigkeit sowie die Bedeutung von Digitaler Souveränität, Open Source Software, offener Schnittstellen und Standards sind sowohl in der Wirtschaft als auch in der politischen Diskussion angekommen.

In jüngster Zeit mehren sich die Warnungen hochkarätiger IT-Experten, Wissenschaftler, Verbandsfunktionäre und Politiker, Deutschland und Europa drohe eine „digitale Kolonialisierung“.

Mayer und Lu von der Konrad-Adenauer-Stiftung kommen in einer Studie zum Ergebnis, dass Europa die Konsequenzen seiner digitalen Abhängigkeit noch kaum erkannt hat.

Prof. Manfred Broy von der TU München bringt die Situation auf den Punkt: „Deutschland ist auf dem Weg, ein digitales Entwicklungsland, eine digitale Kolonie zu werden (…) Letztendlich ist das nicht allein ein wirtschaftliches Problem. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die deutsche und europäische Identität. Wenn wir unsere Digitale Souveränität verlieren, verlieren wir einen wesentlichen Teil unserer kulturellen Werte und unserer Freiheit“.

Der Wirtschaftsverband BITMi Bundesverband IT-Mittelstand warnt vor den wachsenden digitalen Abhängigkeiten, die inzwischen ein „besorgniserregendes Ausmaß“ erreicht haben, und weist auf „konkrete Gefahren für unsere politische Selbstbestimmung“ hin.

Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst wird ebenfalls deutlich. „Wir dürfen keine digitale Kolonie werden“, sagt der Chef des Digitalverbands zur Präsentation einer Studie, die genau das befürchten lässt. Die digitale Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft könnte in einer Katastrophe enden.

Aus negativen Erfahrungen müssen wir lernen

Das generelle Bewusstsein für Abhängigkeiten, insbesondere geopolitische Abhängigkeiten, ist in jüngster Zeit durch verschiedene Ereignisse (Trump-Regierungszeit, Ukraine-Krieg, Musk/Twitter, Microsofts Hauptschlüsselverlust, Broadcom/VMware etc.) sprunghaft gestiegen. „Lessons learned“ aus der Abhängigkeit von russischem Gas: Wir müssen professionelles Präventions- und Risikomanagement anwenden, um – wann immer möglich – Vorsorge zu treffen. Abhängigkeiten müssen frühzeitig identifiziert und analysiert werden, um rechtzeitig gegensteuern zu können und Risikominderungsmaßnahmen einzuplanen und umzusetzen. Die Konsequenzen aus dem Wegfall von russischem Gas sind uns allen noch bewusst:

  • „Mondpreise“ für Gas, Strom und andere Energieträger
  • Preisaufschläge über die komplette Value Chain mit massivem Anstieg der Inflationsrate
  • Mediale Panikmache: Verbreitung von Verunsicherungen
  • Existenzängste bei Unternehmen und Verbrauchern
  • Rezession; Insolvenzen; Arbeitslosigkeit; Steuerausfälle
  • Massive Einsparaktionen; Energiedrosselung am Arbeitsplatz
  • Einsatz von Fracking Gas
  • Umstrittenes Heizungsgesetz
  • Milliardengewinne in Rekordhöhe für Öl-Multis.

Diese Konsequenzen waren zumeist temporär. Bei digitalen Abhängigkeiten, wie Cloud-Lock-in, besteht die Gefahr, dass diese zu dauerhaften wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden führen.

Digitale Abhängigkeiten sind wesentlich kritischer
als die Abhängigkeit vom russischen Gas

Die digitalen Abhängigkeiten sind im Verhältnis zur Abhängigkeit von russischem Gas wesentlich kritischer zu bewerten, da sie vermehrt irreversiblen Charakter haben. Beim Gas gab es Sofortlösungen durch Nutzung vorhandener Reserven, alternative Energien und vielfältige Sparmaßnahmen. Sollte uns der „digitale Hahn“ abgedreht werden – wofür es immer mehr internationale Beispiele gibt – verfügen wir derzeit über keine Sofortlösungen und müssen alle Konsequenzen ohne Plan B erdulden.

Digitale und fossile Abhängigkeiten im Vergleich
Abbildung 1: Digitale und fossile Abhängigkeiten im Vergleich

Wie dringlich und notwendig Alternativen sind, zeigt auch der Abschlussbericht der PwC-Marktanalyse „zur Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern”, der im Auftrag des BMI erstellt wurde. Er dokumentiert eine extrem hohe Abhängigkeit der Bundesverwaltung insbesondere von der Firma Microsoft und weist auf die Folgen dieser Abhängigkeit hin: „… Anbieter scheinen ihre Angebotsmacht zu ihrem Vorteil zu nutzen und Anforderungen ihrer Kunden, z. B. das erhöhte Bedürfnis nach Informationssicherheit im öffentlichen Sektor, nicht bzw. nur unzureichend zu adressieren. Dies kann die Digitale Souveränität der Verwaltung gefährden…“. Allein in den letzten sieben Jahren haben sich die Kosten der Bundesverwaltung für Microsoft fast verfünffacht.

Existenzbedrohung für viele Unternehmen

Wer als Unternehmer oder IT-Verantwortlicher den Wertversprechen der Hyperscaler (Kosteneinsparungen, Innovationen, Sicherheit etc.) Glauben schenkt und seine Unternehmens-IT zu Amazon, Google, Microsoft und Co. verlagert, macht sich wirtschaftlich erpressbar, handlungs- und entscheidungsunfähig. Er legt damit die Existenz seines Unternehmens in die Hände von digitalen Monopolen, die in der Vergangenheit wegen Missbrauch ihrer Marktmacht mehrfach verurteilt wurden.

Kurzfristigen Einsparungen und „Innovationen“ stehen existenzielle Risiken in der Zukunft gegenüber. Das erinnert an die Drogenszene: Mit kostenlosem Stoff werden ruinöse Dauerabhängigkeiten geschaffen. Bezeichnenderweise werden die Konsumenten von Drogen und Software nicht als Kunden sondern als „User/Nutzer“ bezeichnet. Honi soit qui mal y pense.

Die wirtschaftlichen Folgen der Monopolisierung und das damit einhergehende Fehlen an Wettbewerb am digitalen Markt wurden Anfang 2024 erschreckend deutlich: Der US-Technologieriese Broadcom hat nach der Übernahme des Unternehmens VMware einseitig Lizenzverträge für VMware-Software gekündigt und die bisherigen Preise teilweise verzwölffacht. Durch neue Lizenzbedingungen besteht zusätzlich die Gefahr, dass Europas Cloud-Infrastruktur dezimiert wird.

Zweistellige Preissteigerungen von digitalen Monopolisten sind schon länger an der Tagesordnung. Wer nicht mit Alternativen vorgesorgt hat, hat schlechte Karten.

Bundesregierung I: Großartige Versprechungen

Eine wettbewerbsfähige Digitalwirtschaft ist von herausragender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wurden sehr ambitionierte Ziele verkündet und dabei der Digitalen Souveränität und dem Einsatz von Open Source eine außerordentlich hohe Bedeutung gegeben. In der Digitalstrategie 2022 der Bundesregierung wurde die Stärkung der „Digitalen Souveränität“ Deutschlands sogar zum Leitmotiv erhoben.

Bundesregierung II: Widersprüchliches Handeln

Leider sind die gesteckten Ziele in der praktischen Politik der Bundesregierung defacto nicht mehr erkennbar: Die Re- gierungsorgane verwenden Steuergelder in Milliardenhöhe für Investitionen, mit denen sie digitale Monopole stärken. Mehr noch: Die bereits bestehende besorgniserregende di- gitale Abhängigkeit wird vertieft und zugleich die eigentlich beabsichtigte Digitale Souveränität weiter geschwächt. Bei- spielhaft dafür stehen folgende Fakten:

  • Seit Beginn dieser Legislatur flossen nur etwa 0,54 Prozent der Software- und Dienstleistungsausgaben des Bundes in Open Source Software.
  • Auftragsvergabe in Höhe von 4,6 Milliarden Euro an den Datenbankmonopolisten Oracle, ohne die vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb im Amtsblatt der Europäischen Union.
  • Der US-Chiphersteller Intel erhält eine Förderung von fast 10 Milliarden Euro für den Aufbau eines Chipwerks im Raum Magdeburg. 2009 verhängte die EU-Kommission gegen dieses Unternehmen eine Geldbuße von 1,06 Milliarden Euro wegen missbräuchlicher Ausnutzung seiner beherrschenden Stellung auf dem Markt zu Lasten europäischer Wettbewerber.

Mehrfache Bedrohung für die Staatsfinanzen

Die digitalen Monopole stellen eine mehrfache Bedrohung für unsere Staatsfinanzen dar.

Betrachten wir zunächst die Einnahmeseite: Durch eine verstärkte Nutzung von Produkten digitaler Monopolisten verlieren wir unsere Fähigkeit, die digitale Transformation selbstbestimmt zu gestalten. Die lokale Wertschöpfung verringert sich. Statt Steuereinnahmen werden verstärkte wirtschaftliche Abhängigkeit und Erpressbarkeit generiert. Hinzu kommt, dass mit den unter anderem von den Luxemburg-Leaks bekannten Strategien Steuerzahlungen in Milliardenhöhe vermieden werden. Für 44 Milliarden Euro Umsatz in Europa im Jahr 2020 hat Amazon keinen Cent Steuern gezahlt. Schon heute gibt es gewaltige Haushaltslöcher. Ergebnis der Steuerschätzung von Mitte Mai 2024: Der Bund muss mit 22 Milliarden Euro weniger Einnahmen für 2025 rechnen – trotz einer überdurchschnittlichen Inflationsrate. Auf der Ausgabenseite sind explodierenden IT-Kosten zu verzeichnen. Die Ressorts der Bundesregierung haben 2023 die Ausgaben für Software-Lizenzen von rund 771 Millionen Euro im Jahr 2022 auf über 1,2 Milliarden im Folgejahr gesteigert. Das entspricht einer Zunahme von 441 Millionen Euro beziehungsweise rund 57 Prozent.

Gefährdung von Renten und anderen Sozialleistungen

Wenn Wertschöpfung verstärkt außerhalb Deutschlands stattfindet, fallen neben Steuereinnahmen anteilig auch Beiträge für Kranken-, Renten- und sonstige Sozialversicherungen weg.

Schon heute reichen die Beiträge für die Kranken- und Rentenversicherung nicht aus, um die Ausgaben für Leistungen vollständig zu finanzieren. Mit aktuell rund 100 Milliarden Euro decken die aus dem Bundeshaushalt gezahlten Mittel gut 30 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. Hinzu kommt ein Steuerzuschuss des Bundes in den Gesundheitsfond im 2-stelligen Milliardenbereich.

Wenn im Bundeshaushalt die Steuereinnahmen wegbrechen und gleichzeitig die Einnahmen der Sozialkassen sinken, gefährdet dies die Sozialleistungen und somit den sozialen Frieden. Bei weiter sinkenden Steuereinnahmen müssen zwangsläufig dem Bundeshaushalt weitere Mittel für Sozialausgaben entnommen werden. Damit wird automatisch der Ausgabenspielraum für dringend notwendige Investitionen in Bildung und Forschung, Militär, Verkehr, Klima usw. vermindert.

Albtraum „Gesundheitsdaten in den Händen von
Hyperscalern“

Amazon streckt im Gesundheitsbereich immer mehr seine Fühler aus. In den USA ist der Albtraum bereits Realität geworden. Die von der „Washington Post“ veröffentlichten geleakten Dokumente enthüllen Probleme mit der Patientensicherheit bei Amazons One Medical.

Umfrage Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) zur Digitalpolitik
Abbildung 2: Umfrage Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) zur Digitalpolitik

Im vergangenen Jahr hat Amazon das US-Unternehmen One Medical, einen Klinikbetreiber in den USA, für knapp 3,5 Milliarden Dollar übernommen. Nach eigenen Angaben will Amazon den Gesundheitsbereich „neu erfinden“. Amazon Health Services hat mit Omada Health, einem virtuellen An- bieter für Diabetesprävention und weiteren Angeboten, um Diabetes und Bluthochddruck zu bekämpfen, eine Partnerschaft geschlossen.

Besorgniserregende Digitalpolitik

Eine vom Bundesverband IT-Mittelstand im September 2023 veröffentlichte Mitgliederbefragung stellt der bisherigen Digitalpolitik der Bundesregierung ein vernichtendes Zeugnis aus:

  • Fast 90 Prozent der Befragten sind „sehr unzufrieden“ oder „unzufrieden“ mit der Digitalpolitik.
  • Fast alle (94 Prozent) finden, dass unsere digitale Zukunft außerhalb Europas gestaltet wird.

In den Folgemonaten hat sich die Situation alles andere als verbessert. In einer Anfang 2024 von Bitkom Research veröffentlichten Studie vergeben die 604 befragten Unternehmen die Schulnote 5,1 (mangelhaft) für die Anstrengungen der Bundesregierung zur Stärkung der Digitalen Souveränität (zur Erinnerung: Dies war das Leitmotiv der Digitalstrategie 2022).

Darüber hinaus mehren sich Ereignisse, die eine massive Schwächung der deutschen Digitalwirtschaft bedeuten und bei denen die Bundesregierung untätig erscheint. Beispiel: Das nach SAP zweitgrößte Softwarehaus Deutschlands, die Software AG, wurde 2023 aufgekauft und filetiert.

Die Entscheidungen und das Nichthandeln der Bundesregierung zu Lasten der Digitalen Souveränität bergen erhebliche Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie für den Erhalt des Wohlstands unserer Gesellschaft und für unser demokratisches System.

Marketing-Narrative der digitalen Monopole „verführen“ in die digitale Kolonie

Die Marketingversprechen sind gigantisch. Den Kunden wird schier ungebremstes Wachstum bei gleichzeitiger Flexibilität, minimalem Risiko und geringen Kosten suggeriert, alles unter Achtung der bestehenden Gesetze. Mit diesen Narrativen werden Entscheider in Unternehmen und Organisationen fast täglich „gelockt“. Im Folgenden stellen wir diese Narrative auf den Prüfstand.

Zunächst ein einfaches Beispiel aus dem Bereich Banking:

Würden Sie Ihre Wertsachen einer Bank mit Hauptsitz im Ausland anvertrauen,

  1. … die einer Gesetzgebung unterliegt, die ausländische Geheimdienstorganisationen legitimiert, sich der Inhalte Ihres Schließfaches zu bedienen?
  2. … dessen Staatsoberhaupt anweisen kann, dass Sie das Land und diese Bank nicht mehr betreten dürfen?
  3. … dessen Besitzer die Möglichkeit hat zu veranlassen, dass Sie die Bank nicht mehr betreten dürfen?

Ein dreifaches Nein dürfte die Antwort von Jedermann sein.

Stellen wir nun die gleiche Frage im Kontext von Cloud Computing:

Würden Sie Ihre „Digitalen Kronjuwelen“ (Geschäftsdaten und -prozesse) einem Cloud-Provider mit juristischem Hauptsitz außerhalb der EU anvertrauen,

  1. … der einer Gesetzgebung unterliegt, die ausländische Geheimdienstorganisationen legitimiert, auf Ihre „Digitalen Kronjuwelen“ zuzugreifen und diese missbrauchen zu können?
  2. … dessen Staatsoberhaupt den Cloud-Provider anweisen kann, dass er Ihnen den Zugriff auf Ihre „Digitalen Kronjuwelen“ sperrt?
  3. … dessen Besitzer Ihnen den Zugriff auf Ihre „Digitalen
    Kronjuwelen“ sperren kann?

Wer nur eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, läuft Gefahr in der Abhängigkeitsfalle des Cloud Lock-in zu landen. Dass digitale Monopole ihre Marktmacht zum Nachteil von Konkurrenten und Kunden missbrauchen, ist nicht neu und hat bereits mehrfach zu Verurteilungen geführt. Da sie die Preise diktieren und Geschäftsbedingen fast beliebig ändern können, haben sie die Möglichkeit, Unternehmen und Organisationen den „digitale Hahn“ abzudrehen ohne dass diese sich wehren können.

Die Narrative der Hyperscaler auf dem Prüfstand
Abbildung 4: Die Narrative der Hyperscaler auf dem Prüfstand

In Abb.4 werden die fantasiereichen und teilweise widersprüchlichen Marketing-Narrative auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft.

Fazit: Wer den Narrativen Glauben schenkt läuft Gefahr, sich oder sein Unternehmen in die Abhängigkeitsfalle zu manövrieren und dessen Existenz zu gefährden. Gleichzeitig macht er sich gesellschaftlich dafür mitverantwortlich, dass wir zu einem digitalen Entwicklungsland werden.

Auch die Delos-Cloud ist keine digital souveräne Lösung. Wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen von Seminararbeiten am Institut für Informatik der Universität Würzburg haben gezeigt, dass dieses Konstrukt die digitale Abhängigkeit verstärkt, da es de facto um eine Azure Cloud von Microsoft handelt. Die Delos-Lösung ist geopolitisch bedenklich, und die Mindestkriterien der DSK für „Souveräne Clouds“ werden nicht vollständig erfüllt. Ein Einsatz dieser Cloud würde zudem die Vormachtstellung von Microsoft in der öffentlichen Verwaltung weiter zementieren zu Lasten der in der Digitalstrategie 2022 genannten Zielsetzung „Digitale Souveränität“.

Ausweitung der Monopolmacht auf weitere Märkte

Die Marktmacht der fünf GAFAM-Unternehmen (Abb. 5) ist gigantisch. Allein der Umsatz von Amazon übersteigt inzwischen den Bundeshaushalt 2024 .

Die enorme Finanzmacht erlaubt es, Millionen für Lobbyarbeit auszugeben und damit die Gesetzgebung zu beeinflussen. Dies belegt die von Lobby Control durchgeführte Studie „Lobbymacht von Amazon, Google & Co. wird immer größer“. Mehr als 113 Millionen Euro jährlich gibt die Digitalindustrie allein für Lobbyarbeit in Brüssel aus.

Hinzu kommt, dass die digitalen Monopole ihre Marktmacht rasant auf weitere Wirtschaftssektoren wie Medien, Banken, Bezahldienste, Logistik, Gesundheitswesen und Bildung ausdehnen auch hier immer dominanter werden.

Damit einhergehen der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand, was zwangsläufig zu sinkenden Steuereinnahmen und Beiträgen für die Sozialkassen führt. Wer sich noch stärker über die aktuelle Situation informieren möchte, dem sei das Buch von Martin Andree „Big Tech muss weg“ empfohlen.

Marktmacht digitaler Monopole (GAFAM)
Abbildung 5: Marktmacht digitaler Monopole (GAFAM)

Leben in einer digitalen Kolonie – Wie könnte das aussehen?

Ein realistisches Szenario ist die Reduktion der Wertschöpfung in Europa auf Anteile, die nur vor Ort und im unmittelbaren Kontakt mit den Kunden erbracht werden können. Im Zuge der Digitalisierung sind das zunehmend weniger Anteile (Anwender-Support, Gebäude-Infrastruktur nahe bei den Anwendern etc.). Dabei werden die lokalen Dienstleister zu Unterstützern des Machterhalts der sie „ernährenden“ Hyperscaler. Aus Sicht der Diplomatie des Staates ergeben sich daraus mehrere fatale Einschränkungen:

  • Mit sinkendem Wertschöpfungsanteil verringert sich der Einfluss in der Weltwirtschaft.
  • Mit steigender Abhängigkeit entsteht die Gefahr von Sanktionen bei „eigenständigen“ Positionen der Regierung gegenüber den USA.
  • Mit vollständiger Verlagerung aller Informationen in den Zugriffsbereich der US-Regierung liegt gleichzeitig die Informationsüberlegenheit dort (USA weiß alles über Europa, Europa weiß wenig über die USA), was diplomatische Manöver unmöglich macht.
  • Eventueller (staatlich legitimierter) Wirtschaftsspionage kann nicht Einhalt geboten werden.
  • Beschlagnahmung von Daten macht Unternehmen und Institutionen erpressbar.

Wie können wir die Enkelfähigkeit im digitalen Raum sichern?

Die Dominanz von Big Tech bedroht unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit und gefährdet unsere Demokratie. Mit ihrer enormen Macht nehmen sie massiv Einfluss auf unser tägliches Leben, unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist daher entscheidend, dass wir uns dieser Bedrohung bewusst werden und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen. Es besteht dringender Handlungsbedarf!

Bündelung der Kräfte erforderlich

Die effektivste Lösung, um gegen die Dominanz der Tech-Imperien vorzugehen, ist eine konzertierte Aktion auf staatlicher, unternehmerischer und bürgerschaftlicher Ebene. Voraussetzung dafür ist dabei das Bewusstwerden beziehungsweise das Bewusstsein für die existentielle Bedrohung in der gesamten Bevölkerung.

Lösungen

Vielfältige Lösungsansätze sind denkbar. Einige davon stellen wir an dieser Stelle zur Diskussion:

1. „Allianz für Digitale Souveränität“

Dies ist eine Vereinigung der unzähligen Einzelpersonen, Klein- und Großgruppen, Vereine, Organisationen und Verbände, die sich bereits heute mit Digitaler Souveränität befassen. Neben der Open Source Gemeinde gehören hierzu insbesondere Unternehmensleitungen und Mitarbeiter von IT-Unternehmen, die Software „Made in Germany/EU“ erstellen und DSGVO-konformes Hosting anbieten.

Darüber hinaus müssten IT-Anwender von Unternehmen und staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen in dieser Vereinigung mitwirken, insbesondere Unternehmer, denen die Enkelfähigkeit ihre Firma am Herzen liegt.

2. Events für die verschiedenen Stakeholder / Themen organisieren

  • Awareness
  • Maßnahmenplanung und -abstimmung
  • Austausch von Erfahrungen bei der Umstellung auf souveräne Produkte

3. Hackathons „Digitale Souveränität“ für Schüler, Studierende, Wissenschaftler, Forscher und weitere Interessierte.

4. Gebot für den Cloud-Einsatz: Bürgerdaten dürfen nur auf Systemen von Unternehmen gespeichert und verarbeitet werden, die europäischem Recht unterliegen und die Cloud-Kriterien der DSK erfüllen.

5. Zugangsbeschränkungen in Parlamenten für Lob- byisten von Unternehmen und Verbänden, die ihren Rechtssitz außerhalb der EU haben, zu deutschen und EU-Politikern.

6. Gebot für den Einsatz und die Nutzung von KI-Systemen: In der öffentlichen Verwaltung dürfen nur solche Systeme eingesetzt werden, die einen sicheren und digital souveränen Einsatz gewährleisten. Genehmigungen erteilen die zuständigen Datenschutzverantwortlichen.

7. Wirtschaftliche Anreize schaffen für den Einsatz von souveräner Software, z.B. steuerliche Vergünstigungen

8. Einrichtung eines Fonds „Digitale Souveränität“, aus dem Anlaufinvestitionen für souveräne Lösungen getätigt werden. Finanzierung des Fonds durch zusätzliche Abgaben von z.B. 10 Prozent auf Softwareausgaben an digitale Monopole.

9. Der Bund ist der größte Beschaffer von Software und IT-Services in Deutschland und hat einen gewaltigen Einfluss auf den Wettbewerb. Er muss seiner hohen Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern gerecht werden, indem er bevorzugt digital souveräne Software beschafft und einsetzt. Dass dies schon heute möglich ist, zeigt ein aktuelles Gutachten zum Vergaberecht.

10. Schaffung alternativer Märkte: Zusammenbringen von Anbietern und Nutzern (viele Universitäten, Kommunen etc. haben vergleichbare Probleme, Anforderungen)

11. Public money – concerted public code!: Gemeinsame Beschaffung und Gestaltung von Softwareprojekten der öffentlichen Hand – über Skalen und Länder in Europa hinweg.

12. Multi-Vendor-Strategien für IT-Beschaffungen – wie dies auch in anderen Branchen üblich ist.

„Das schaffen wir doch nie. Der Zug ist abgefahren“ und ähnliche, irreführende Behauptungen

Ein Blick in andere Länder wie Südkorea, Indien und Japan zeigt, dass es durchaus möglich ist, Open Source signifikant zum Einsatz zu bringen und damit faireren Wettbewerb zu ermöglichen. Nordkorea ist aufgrund der internationalen Sanktionen gar zum Vorreiter in der Nutzung von Open Source geworden. So gut wie alle Computer im ganzen Land laufen mit dem hauseigenen Linux-basierten Red Star OS mit der Sogwang Office Suite, die auf Libre Office basiert.

Wenn ein kleines, wirtschaftlich unbedeutendes Land es schafft, die gesamte Verwaltung Open-Source-basiert zu bedienen und damit erhebliche Kosten spart, selbst Anpassungen an der eingesetzte Software vornehmen kann und Digitale Souveränität sichert, warum sollte die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt nicht in der Lage sein, den Weg in die digitale Kolonie durch verstärkten Open-Source-Einsatz und souveräne Lösungen “Made in Germany/EU“ zu vermeiden? Wir müssen es nur machen. Vorbildlich handelt das Bundesland Schleswig-Holstein, das seine gesamte Verwaltung mit Linux, Libre Office und Nextcloud auf moderne und bewährte Open Source-Technologie ausrichtet. Auch der Marktplatz für EfA-Leistungen, eine zentrale Plattform für den bundesweiten Austausch digitaler Leistungen, ist eine erfolgversprechende Verwaltungslösung für Fachverfahren.

Nächste Schritte

Allianz für Digitale Souveränität gründen

  • Sammlung von Ideen und Vorstellungen mittels einer Umfrage: https://www.menti.com/al5jpn4kux4u
  • Online-Vorgespräch zur Konkretisierung von Zielen und Organisation (keine Konkurrenz zu bereits bestehenden Initiativen, sondern Bündelung der Kräfte!) am 20. August 2024, 17:00 Uhr: https://confpool.vc.dlr.de/webapp/home?conference=1907201212@vc.dlr.de. Alle Interessierten sind hierzu herzlich eingeladen.
  • Gründung der „Allianz für Digitale Souveränität“ mit gemeinsamer Strategie, Organisation und Arbeitsprogramm

Beteiligung am Event „Lock-in und digitale Kolonie verhindern durch Digitale Souveränität und Open Source“ am 26. September 2024 in Wiesbaden

(auch Online-Teilnahme möglich). Dieses Event findet im Rahmen der Jahrestagung 2024 der Gesellschaft für Informatik statt. Im Anschluss an hochkarätige Keynotes, Diskussionen und einem Panel soll ein Aktionsplan „Digitale Souveränität – Machen!“ erarbeitet werden.

Über den Autor

Prof. Dr. Harald Wehnes


lehrt am Institut für Informatik der Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind modernes Projektmanagement und digitale Nachhaltigkeit. Er hat jahrzehntelange Erfahrungen als Manager in der Wirtschaft und Großforschung, ist Mitglied des Präsidiums der Gesellschaft für Informatik e.V. und Mitherausgeber und Autor des Buches „KI in der Projektwirtschaft“.

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