Ein bahnbrechendes Urteil wird 40 Jahre alt: Das Volkszählungsurteil von 1983.
Am 15. Dezember 2023 jährt sich zum 40. Mal das Volkszählungsurteils – die zentrale Entscheidung zur informationellen Selbstbestimmung:
„Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil […] heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person ([…]) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus – vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit haben sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsicht- und Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen.„
Dezember 1983, Bundesverfassungsgericht 65,1 §145
Diese Sätze zeigen, wie modern und visionär das Gericht im Hinblick auf die Ideen des Datenschutzes als Reaktion auf die Entwicklung der Technik und deren Folgen für die Bürger entschieden hat.
Formuliert zu einer Zeit, als die ersten IBM-PCs in Deutschland verfügbar wurden, erscheinen die mit dieser Entwicklung verbundenen Risiken heute viel deutlicher als Ende 1983 – man kann sie als Prophezeiung lesen.
Neben dieser grundsätzlich richtigen und grundlegenden Einsicht in die Relevanz technologischer Entwicklungen hat die Wahl der rechtlichen Perspektive eine Reihe von Grundprinzipien geliefert, die bis heute in Gesetzgebung und Rechtsprechung Gültigkeit haben.
Die „informationelle Selbstbestimmung“ als Ziel und Grundsatz betont die Bedeutung der Einwilligung, mit dem Erfordernis der gesetzlichen Festlegung weiterer Verarbeitungsgrundlagen. Dies wird auch in Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht. Der Begriff und die Idee wurden hier nicht erfunden, aber die folgende Beschreibung hat als Zitat Klassikerstatus:
„Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des GG Art 2 Abs. 1[Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit] in Verbindung mit GG Art 1 Abs. 1 [Menschenwürde] umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“
Dezember 1983, Bundesverfassungsgericht 65,1 Grundsatz 1
Die vierzig Jahre, die seit dem Volkszählungsurteil vergangen sind, haben die damalige visionäre Entscheidung der deutschen Richter zur Notwendigkeit des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger vor der unrechtmäßigen Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Staat (und nicht nur durch den Staat) nur noch verstärkt. Wahrscheinlich haben sie nicht vorausgesehen, in welchem Ausmaß dies die Gerichte in anderen Ländern beeinflussen würde, aber im Rückblick muss man sagen, dass nur wenige Gerichtsentscheidungen einen solchen Einfluss auf die Entwicklung des Datenschutzrechts hatten wie das deutsche Volkszählungsurteil. Diesen wichtigen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung hat unser europäischer Dachverband hier thematisiert. Die Ausstrahlungskraft des 40 Jahre alten Urteils reicht also zeitlich und räumlich weit.